Die vielen aktuellen Krisen – Energiekrise, Klimakrise und Artensterben – belasten zunehmend auch die Landwirtschaft. Die Agrarindustrie befeuert diese Krisen: Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine fordert sie eine weitere Intensivierung der chemiegestützten Landwirtschaft. Umweltschützer*innen und Vertreter*innen der Biobranche hingegen halten gerade jetzt einen raschen und gründlichen Wandel hin zu einer ökologischen Landwirtschaft für dringlicher denn je.
Die sogenannte konventionelle Landwirtschaft ist ein komplexes System, das auf wenigen Grundpfeilern basiert: auf chemisch-synthetischen Pestiziden, Kunstdünger und extremer Mechanisierung. Sie ist in hohem Maß auf fossile Ressourcen angewiesen, die einen reibungslosen globalen Handel voraussetzen. Der Krieg setzt dieses System unter Druck; Versorgungsengpässe, massive Preissteigerungen und zunehmender Hunger im globalen Süden sind die Folgen.
Zugleich ist die Landwirtschaft in Europa schon heute unmittelbar vom Klimawandel betroffen. Ausbleibender Regen und die zunehmende Dürre im tieferen Boden bedrohen den Ernteerfolg. Doch die Agrarindustrie setzt auf weitere Produktionssteigerungen mit immer giftigeren Mitteln. Dabei sind die Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft auf Umwelt, Artenvielfalt und Klima bereits jetzt besorgniserregend: Ackerchemikalien verseuchen unser Grundwasser, reduzieren die Biodiversität, schädigen das Bodenleben und gefährden so die Ernährungsgrundlage zukünftiger Generationen. Einer vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und dem Umweltinstitut München initiierten Studie1 Eine zukunftsfähige Landwirtschaft muss mit der Natur arbeiten statt gegen sie. Der Öko-Landbau zeigt seit Langem erfolgreich, wie das umsetzbar ist. […] Er ist von Importen fossiler Ressourcen weitgehend unabhängig und sein ökologischer Fußabdruck ist gegenüber der konventionellen Landwirtschaft erheblich kleiner. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft muss mit der Natur arbeiten statt gegen sie. Der Öko-Landbau zeigt seit Langem erfolgreich, wie das umsetzbar ist. Er verzichtet auf chemisch-synthetische Pestizide und künstlichen Dünger und setzt stattdessen auf gesunden Boden, sich gegenseitig fördernde Pflanzen- und Insektengemeinschaften, natürliche Zyklen und geschlossene Betriebskreisläufe. Eine solide Kompostwirtschaft kompensiert eine reduzierte Tierhaltung. Weite Fruchtfolgen, die Stärkung der Pflanzengesundheit, der Einsatz von robusten Sorten und die gezielte Förderung von Nützlingen beugen Krankheiten und übermäßigem Schädlingsbefall vor. Müssen dennoch Pflanzenmedikamente eingesetzt werden, so sind diese überwiegend pflanzlichen oder mineralischen Ursprungs. Das macht die Bio-Landwirtschaft von Importen fossiler Ressourcen weitgehend unabhängig und ihr ökologischer Fußabdruck ist gegenüber der konventionellen Landwirtschaft erheblich kleiner. Somit leistet die ressourcenschonende ökologische Wirtschaftsweise einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Klima und Biodiversität. Vor allem in den Bereichen Wasser- und Artenschutz, Bodenfruchtbarkeit, Klimaanpassung und Ressourceneffizienz ist die ökologische Landwirtschaft laut Thünen-Institut wegweisend.2 »Eine EU-Agrarpolitik, die weiterhin (…) die Flächengröße der landwirtschaftlichen Betriebe statt ihre Umweltleistungen honoriert und durch die Bevorteilung industrieller Strukturen das Sterben bäuerlicher Höfe vorantreibt, ist ein massiver Bremsklotz auf dem Weg zur dringend gebotenen Ökologisierung der Landwirtschaft.« Gesunde Böden, reiche Artenvielfalt, geschlossene Betriebskreisläufe – das müsste den Öko-Landbau angesichts der aktuellen Krisen attraktiv machen. Die deutsche Bundesregierung hat dies erkannt und sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis 2030 soll der Anteil der Bio-Landwirtschaft auf 30 Prozent der Agrarfläche gesteigert werden. Doch davon sind wir aktuell noch weit entfernt. Dass das so ist, kann nur als politisches Versagen bezeichnet werden: Eine EU-Agrarpolitik, die weiterhin auf möglichst hohe Hektarerträge im globalen Wettbewerb abzielt, die Flächengröße der landwirtschaftlichen Betriebe statt ihre Umweltleistungen honoriert und durch die Bevorteilung industrieller Strukturen das Sterben bäuerlicher Höfe vorantreibt, ist ein massiver Bremsklotz auf dem Weg zur dringend gebotenen Ökologisierung der Landwirtschaft. Damit die Umstellung auf Bio für Landwirt*innen in der Breite möglich wird, muss die Agrarpolitik die Umweltleistungen des Öko-Landbaus angemessen honorieren und den Bedürfnissen der Zukunft entsprechend finanzieren. Das wird nur zusammen mit einer Stärkung der Bio-Branche insgesamt gelingen. Solange der Kassenzettel darüber entscheidet, ob Bio-Lebensmittel oder sogenannte konventionell erzeugte Waren im Einkaufskorb landen, bleibt der Agrarmarkt verzerrt. »True cost« heißt hier die Devise: Die wahren Kosten der Lebensmittelerzeugung für Umwelt und Gesundheit müssen in die Preisgestaltung einfließen. Dann würde sich der ressourcenschonende Öko-Landbau endlich deutlich preiswerter erweisen als die fossil getriebene Landwirtschaft. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre eine Pestizid-Abgabe, die nicht nur den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden minimieren, sondern auch die Umstellung auf Bio mitfinanzieren könnte, wie eine Studie des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung ergab.3 Ein Systemwandel hin zu einer Ökologisierung der Landwirtschaft ist nicht nur notwendig, sondern längst überfällig, wenn wir die Ernährungssicherheit auch für unsere Enkelinnen und Enkel erhalten wollen. Die Politik muss diesen Wandel schnellstmöglich vorantreiben. Dieser Artikel ist auch im Newsletter sowie auf der Webseite des Deutschen Naturschutzrings (DNR) erschienen. Literaturhinweise: 1Kruse-Plaß, M., Hofmann, F., Wosniok, W. et al. Pesticides and pesticide-related products in ambient air in Germany. Environ Sci Eur 33, 114 (2021). Abrufbar unter: https://doi.org/10.1186/s12302-021-00553-4 2Sanders, J. und Heß, J. (Hrsg.) (2019): Leistungen des ökologischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft. 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, Thünen Report. Abrufbar unter: https://www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen_Report_65.pdf. 3Möckel S., Gawel E., Liess M. und Neumeister L., 2021. Wirkung verschiedener Abgabenkonzepte zur Reduktion des Pestizideinsatzes in Deutschland – eine Simulationsanalyse. Auftraggeber: GLS Bank und GLS Bank Stiftung. Abrufbar unter: https://www.gls.de/media/PDF/Presse/Studie_Pestizid-Abgabe_in_Deutschland_2021.pdf
Patentrezept Bio-Landbau – 30 Prozent bis 2030
Wahre Kosten für fairen Wettbewerb