Pestizidschadenfonds? Bleibt eine Herausforderung! Gute Argumente für einen agrarpolitischen Dialog in Brüssel? Haben wir mitgegeben! Zulassungsverfahren? Bleiben lückenhaft und kritikwürdig! Mindestens diese drei Kernbotschaften nimmt das BEL aus der Biofach-Podiumsdiskussion vom 14.2. in Nürnberg mit. Außerdem einige weitere Zusagen und viel positiven Aufwind für die Fortführung der politischen Arbeit.
Eine erfreuliche Erkenntnis vorweg: Das BEL erntet hochkarätige Resonanz. So sagte Bioland- und IFOAM-Präsident Jan Plagge nach unserer Anfrage im September direkt zu, an unserem Panel mitzuwirken. Gerne wäre auch Dr. Ophelia Nick (parl. Staatssekretärin BMEL) wieder dabei gewesen und auch Karl Bär (MdB, die Grünen) hatte sich den Termin notiert. Als dann im Januar zusätzlich Frau Staatssekretärin Silvia Bender zusagte, waren wir etwas in Verlegenheit. Damit auch Teilnehmer*innen aus der landwirtschaftlichen Praxis Platz finden würden, sagte Karl dann fest zu, aus dem Publikum heraus unsere Diskussion zu begleiten.
Vertreter*innen aus Praxis und Politik diskutierten gemeinsam auf dem BEL-Panel: Albrecht Pausch (Imkerhof Pausch), Silvia Bender (BMEL), Florian Riegel (Riegel-Bioweine / BEL), Jan Plagge (IFOAM Organics Europe / Bioland), Kathrin Jäckel (BNN) (v.l.n.r.)
In diesem Jahr ging es um die Frage: Finden wir in Bio-Agrarprimärprodukten dieselben Pestizidwirkstoffe, die wir bereits 2019 in unserer Luftstudie identifiziert hatten? Dafür haben wir eine Abfrage bei drei Laboren in Deutschland durchgeführt, die Bio-Agrarprimärprodukte auf Pestizidrückstände untersuchen und die am häufigsten nachgewiesenen Wirkstoffe mit denen in der Luft verglichen. Zusätzlich flossen in den Vergleich die Ergebnisse des Bund Naturkost Naturwaren (BNN-)Monitorings ein, bei dem seit mehr als 20 Jahren systematisch Bio-Produkte untersucht werden.
Ergebnis: Fünf Wirkstoffe wurden bei allen drei untersuchten Analysemethoden (Luft, Agrarprimärprodukte, BNN-Monitoring) gefunden: Pendimethalin, Terbuthylazin, Prosulfocarb, Tebuconazol, Boscalid. Es liegt nahe, dass diese Wirkstoffe über die Luft auf Bio-Äckern landen und diese kontaminieren. Weiteres Fazit: von den knapp 7.000 analysierten Laborproben sind 7,3 Prozent positiv auf Pestizid-Kontaminationen untersucht worden, ein Prozent überschritten den BNN-Orientierungswert von 0,01 mg/kg. Aus Verbraucher*innen-Sicht ist das eine gute Nachricht und zeigt, dass die aufwändigen Vorsorge- und Kontrollmaßnahmen funktionieren und Bio aus Deutschland die höchstmögliche Produktqualität bietet. Aufgrund der Kontaminationen mit chemisch-synthetischen Pestiziden muss die Bio-Branche jedoch ständig und umfassend ihre Produkte kontrollieren und jeder Spurenfund muss überprüft werden, was erheblich Zeit und Geld kostet. Für die Bio-Branche sind die Kontaminationen daher ein ernst zu nehmendes Problem.
Alle Hintergründe und Ergebnisse der Laborabfrage, die wir zusammen mit dem Beratungsbüro „Lach & Bruns“ vorgenommen haben, sind übersichtlich zusammengefasst in unserem Factsheet und der Präsentation vom Biofach-Panel:
Bewertung der Bio-Branche
Intensiv und engagiert war der Austausch, der sich nach der Präsentation der Untersuchungsergebnisse anschloss. Im Vorfeld hatte das BEL, unterstützt vom BNN (vertreten durch Geschäftsführerin Kathrin Jäckel) auf Basis der Untersuchungsergebnisse seine Forderung nach einem Pestizidschadenfonds wiederholt (s. Pressemitteilung). Florian Riegel, Landwirt, Unternehmer und engagiertes BEL-Mitglied konstatierte hierzu: „Bio-Betriebe sind mit einem relevanten Mehraufwand und damit hohen Mehrkosten belastet, um die ‚Reinheit‘ ihrer Produkte zu beweisen. Denn theoretisch kann jedes Produkt durch Abdrift und Ferntransport kontaminiert sein. Immer wieder kommt es auch vor, dass ganze Ernten unverkäuflich sind. Diese müssen aussortiert werden und gelangen nicht in den Handel.“
Jan Plagge kommentierte die Pestizidfunde vor allem aus einer agrarpolitischen Europa-Perspektive. Es sei nun – nach der Enttäuschung, dass die SUR (Sustainable Use Regulation) kurz zuvor in Brüssel vollends zurückgezogen wurde – nationale Aufgabe, die besonders kritischen Wirkstoffe wie Pendimethalin und Prosulfocarb „nicht mehr zuzulassen“ oder wenigstens „so zuzulassen, dass sie nichts mehr anrichten können“. Denn immer wieder, so Plagge, tauchen vor allem diese Wirkstoffe in Produkten und in der Umwelt auf und verursachen entsprechende Probleme.
Hilfreiche Untersuchungen für den strategischen Dialog
Was die europäische Agrarpolitik angehe, sei man vollends an einem Tiefpunkt angekommen. Als derzeit letzten Hoffnungsschimmer noch vor den anstehenden Europawahlen führte Plagge den im Januar begonnenen, strategischen Dialog (Strategischer Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft – Europäische Kommission (europa.eu) auf. Als Input zu diesem Dialog, so kündigte er außerdem an, wird er die BEL-Untersuchungsergebnisse zu den Pestizid-Kontaminationen dort mit einbringen und bescheinigte ihren wichtigen Mehrwert.
Staatssekretärin Silvia Bender gab sich in der Diskussion Mühe, die komplexen Zusammenhänge zum Thema Pestizid-Kontaminationen vor allem aus der rechtlichen Perspektive zu erläutern. Grundlegendes Problem sei nach wie vor, dass Luft-Verfrachtungen in den staatlichen Zulassungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt werden. Damit sei euch die Haftung der Wirkstoff-Hersteller ausgeschlossen. Schwacher Trost: Die Umsetzung eines ersten Luftmonitorings ist für das Jahr 2025 vorgesehen. Zudem würde das Personal für die Zulassungsverfahren aufgestockt, um künftige technische Verlängerungen – also stetige Zulassungsverlängerung von Wirkstoffen, ohne erneute Risikoprüfungen – verringern zu können.
Aussicht auf Reduktionsprogramm und Pestizidabgabe
Noch eine weitere Zusage hatte Staatssekretärin Bender mitgebracht. Noch bis zum Sommer wolle die Bundesregierung nun ernst machen, mit dem (lang angekündigten) Reduktionsprogramm für Pestizide, um das Ziel einer 50-Prozent-Reduktion bis 2030 noch zu erreichen.
Dem geforderten Pestizidschadenfonds räumte Bender indes juristisch wenig Chancen zur Umsetzung ein. „Was wir uns jedoch derzeit anschauen sind steuerliche Instrumente, sprich eine Pestizidabgabe, mit deren Einnahmen wir eine Landwirtschaft unterstützen können, die keine Pestizide einsetzt.“
Für ebenso wichtig hält Staatssekretärin Bender die Einrichtung eines Fonds auf EU-Ebene. Getragen werden sollte er von Pestizidherstellern und finanziert würden aus ihm Studien zu den Risiken der jeweiligen Pestizide, bevor diese zugelassen werden. Damit würden Studien endlich von unabhängigen wissenschaftlichen Instituten und nicht wie bisher von den Pestizidherstellern selbst durchgeführt werden. Das Ergebnis wäre eine größere Transparenz sowie mehr Vertrauen in die Zulassungsverfahren.
In der Breite zeigen, dass es anders geht
„Bienen würden Bio kaufen“ mit diesen Schlussworten von Imker Albrecht Pausch endeten sechzig kurzweilige Minuten Diskussion zur BEL-Forderung „Ausgleichsfonds für Pestizidschäden“ aus dem Nürnberger Politik-Forum. Diskussionsbeiträge von den beiden BEL-Vorständen Stephan Paulke und Johannes Heimrath gaben spannende Impulse zu einigen zentralen Fragestellungen rund um die Zulassung von Pestizidwirkstoffen, die sowohl Silvia Bender als auch Jan Plagge fachkundig beantworteten. BEL-Neu-Mitglied Michael Kammerer (Il Cesto) äußerte nach vielen juristischen Erörterungen schließlich den gleichzeitig verständlichen Wunsch, nach einer weniger fachspezifischen Auseinandersetzung, die für alle zugänglich bleiben müsse. Erfreuliche Antwort dazu von Jan Plagge: „Es gibt ja ein total einfaches und schönes Konzept und das hat sowohl die europäische Union vorgeschlagen als auch die Bunderegierung – nämlich 25 bzw. 30 Prozent Bio bis 2030. Das ist der einfachste Entwicklungspfad der funktioniert, weil er in der Breite zeigt, dass es anders geht.“
Aufzeichnung der Veranstaltung (abrufbar voraussichtlich bis Mitte Mai 2024):
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