München/Brüssel, 29. November 2022. Vertreter*innen der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten” trafen am Freitag EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides und Věra Jourová, EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, um die Forderungen von mehr als einer Million Europäer*innen vorzustellen. Die EBI betonte die Notwendigkeit, an den Pestizidreduktionszielen des Europäischen Green Deals festzuhalten und dem Druck einzelner Mitgliedsstaaten, die Ambition zu verwässern, standzuhalten. Kyriakides ihrerseits bekräftigte die Pläne der Kommission, den Rückgang von Bienen und anderen Bestäubern umzukehren. Strukturen zur Unterstützung der biologischen Vielfalt sollten wiederhergestellt und die Reduktion des Pestizideinsatzes in der EU rechtsverbindlich werden.
Erst vor wenigen Wochen hatte die EU-Kommission die Europäische Bürgerinitiative (EBI) “Bienen und Bauern retten” als siebte Initiative dieser Art für gültig erklärt. Dem Bündnis aus über 200 Organisationen war es gelungen, in ganz Europa mehr als eine Million Unterstützungserklärungen für ihr Anliegen zu sammeln. Durch diesen Erfolg bekamen die Initiator*innen der EBI die Möglichkeit, Vera Jourová, EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, und EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides die Forderungen von 1.054.973 Europäer*innen persönlich vorzustellen und zu erläutern.
Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit kommentierte diese Forderungen: “Wir haben strenge Regeln für die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vorgeschlagen. Diese Regeln werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, verbindliche nationale Ziele festzulegen, um die Gesamtziele der EU zu erreichen. Diese Initiative wird unsere Maßnahmen zum Schutz von Bestäubern verstärken, indem sie den Einsatz von Pestiziden verringern und uns von chemischen Pestiziden wegbewegen wird, um die Ökosysteme gesünder zu machen.“
Der Reformvorschlag der Kommission zur „nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln” (SUR), der die Halbierung bis 2030 rechtsverbindlich festschreiben soll, sieht sich indes heftigen Angriffen ausgesetzt: Nach massivem Widerstand der Industrie erhoben im September zehn Mitgliedsstaaten die Forderung nach einer „ergänzenden Folgenabschätzung“ (impact assessment). Diese könnte mittlerweile die Unterstützung von bis zu 19 Mitgliedstaaten erlangt haben. Falls dies zutrifft und die Forderung im Rat eine Mehrheit findet, könnte das die Verabschiedung des Gesetzesvorschlags um Monate verschieben oder sogar komplett unterbinden.
Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker von GLOBAL 2000 und Mitinitiator der Initiative betonte: „Bereits vor fünfzehn Jahren schlug die Kommission Gesetze vor, um das Risiko und die Abhängigkeit von Pestiziden zu verringern, aber die Mitgliedstaaten haben es bisher versäumt, die vereinbarten Ziele einzuhalten. Vor diesem Hintergrund sehen wir es als demokratiepolitisch fatales Signal, wenn einige Mitgliedstaaten nun versuchen, die SUR abzuschwächen, zu verzögern oder – wie bereits in den Medien spekuliert wird – zu verhindern.“
Die EU-Bürger*innen fordern ein Mitspracherecht in der Diskussion über unsere Gesundheit und unsere Umwelt. Martin Dermine, Hauptvertreter der EBI sagte: „Diese Debatte kann nicht länger von der chemischen Industrie und ihren Verbündeten dominiert werden, die sich für die industrielle Landwirtschaft einsetzen. Ohne gesunde Böden, sauberes Wasser und Biodiversität gibt es keine Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Die industrielle chemiegestützte Landwirtschaft befindet sich in einer Sackgasse.“
Annemarie Gluderer, Landwirtin aus Italien und Mitglied des EBI-Komitees, erklärte, wie stark die Bio-Landwirtschaft unter den Folgen chemisch-synthetischer Pestizide leidet: „Unser Biohof ist umgeben von Flächen, die wegen des intensiven Apfelanbaus viel gespritzt werden. Die eingesetzten chemisch-synthetischen Pestizide belasten auch unseren Hof. Unsere Bio-Kräuter waren damit kontaminiert und konnten nicht mehr als Bio-Ware verkauft werden. Wir mussten viele Schutzmaßnahmen ergreifen, um uns vor einer Pestizid-Vergiftung zu schützen. Und wir Betroffenen werden beschuldigt, mit Schließung gedroht, gehasst und ausgegrenzt. Für uns gibt es nur eine Lösung: ein Pestizidverbot hier und jetzt! Ich bitte darum! Für unseren Biobauernhof, als Mutter und Großmutter für eine Zukunft unserer Enkel*innen.“
Dr. Polyxeni Nicolopoulo, Umweltmedizinerin der Universität Athen und Mitglied des EBI-Komitees, betonte die Auswirkungen auf unsere Gesundheit: „Wir sehen viele Krebsarten und Unfruchtbarkeit in jungen Jahren, die auf den Kontakt mit hormonwirksamen Pestiziden zurückzuführen sind.“
Der nächste Schritt zur Umsetzung der Forderungen der EBI “Bienen und Bauern retten” ist die öffentliche Präsentation der Forderungen im Europäischen Parlament Anfang des Jahres 2023.
Foto:
Hier finden Sie das offizielle Bild des Treffens und hier die Vertreter der EBI vor dem Kommissionsgebäude am Schuman-Kreisverkehr in Brüssel.
Die offiziellen Forderungen der EBI „Bienen und Bauern retten“ lauten:
- Schrittweiser Ausstieg aus synthetischen Pestiziden
Der Einsatz von synthetischen Pestiziden in der EU-Landwirtschaft soll bis 2030 um 80% reduziert werden. Bis 2035 sollen die EU-Mitgliedstaaten komplett ohne chemisch-synthetische Pestizide auskommen. - Maßnahmen zur Wiederherstellung der Biodiversität
Lebensräume sollen wiederhergestellt und landwirtschaftliche Flächen so gestaltet werden, dass sie die Artenvielfalt fördern. - Unterstützung für Landwirte
Landwirtinnen und Landwirte müssen beim notwendigen Übergang zur Agrarökologie unterstützt werden. Kleine, vielfältige und nachhaltige Betriebe sollen bevorzugt, der ökologische Landbau ausgebaut und die Forschung zur pestizid- und gentechnikfreien Landwirtschaft unterstützt werden.
Die Bürgerinitiative wurde am 10. Oktober 2022 offiziell von der Europäischen Kommission als gültig erklärt. Die EU-Kommission ist nun verpflichtet, eine formelle Antwort auf die Forderungen der EBI geben. Im Januar folgt eine offizielle Anhörung im Europäischen Parlament.
EBI Vertreter*innen zu Besuch bei der EU-Kommission:
Dr. Polyxeni Nicolopoulo (Umweltmedizinerin, Griechenland), Annemarie Gluderer (Bio-Landwirtin, Südtirol, Italien), Constantin Dobrescu (Romapis, Rumänien), Dr. Helmut Burtscher (Global2000, Österreich), Johann Lutke-Schwienhorst (Aurelia Stiftung, Deutschland), Corinna Hoelzel (BUND, Deutschland), Veronika Feicht (Umweltinstitut Münchenm Deutschland), Karl Baer (ehemaliger Hauptvertreter der EBI, jetzt Bundestagsabgeordneter beim Bündnis90/Die Grünen, Deutschland), Madeleine Coste (Slow Food Europe), Clara Bourgin (Friends of the Earth Europe, Frankreich), Luís Morago (Avaaz, Spanien), Natalija Svrtan (PAN Europe, Kroatien), Tjerk Dalhuisen (PAN Europe, Niederlande) und Dr. Martin Dermine (PAN Europe, Belgien).
Hintergrund:
Die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ wird von über 250 europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft mitgetragen. In 10 EU-Ländern wurden mehr als die erforderlichen Unterschriften gesammelt. Rund 450.000 der gesammelten Unterschriften kommen aus Deutschland. Die Gesamtzahl von 1,05 Millionen gültigen Unterschriften macht die EBI zu einem offiziellen Punkt auf der Agenda der Europäischen Kommission und des Parlaments. Die Initiative fordert von der EU- Kommission einen schrittweisen Ausstieg aus dem Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide bis 2035, Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt und mehr Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern beim Umstieg auf eine pestizidfreie, ökologische Landwirtschaft.
Die offiziellen Ergebnisse finden Sie auf der Website der Europäischen Kommission.
Kontakt:
Julia Schumacher (Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft e.V.)
Julia.schumacher@enkeltauglich.bio
+49 151 15200097