[NÜRNBERG, 14.2.2018] Die weiträumige Verfrachtung von Pestiziden macht nicht am Rande konventioneller Felder halt. Sie werden auch über Bio-Äcker und bis hinein in die Städte getrieben. Das ist das Ergebnis einer Pilotstudie, die gängige Ackergifte wie Glyphosat in Baumrinden selbst an Standorten mitten in der Großstadt nachwies. Präsentiert wurde sie auf der BioFach 2018 vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Mit der Kampagne Ackergifte? Nein danke! fordert das von Bio-Herstellern und Bio-Händlern gegründete Aktionsbündnis ein Umdenken in der Landwirtschaft und lädt gleichzeitig zum Dialog ein – damit auch zukünftige Generationen noch unbelastete Lebensmittel zu sich nehmen können.
Was eine Allgegenwart von Giften konkret bedeutet, erläuterte Walter Haefeker, Präsident der European Professional Beekeepers Association, am Beispiel der Imkerei: ›Bienen werden nicht im Stall oder auf einem eingezäunten Stück Land gehalten. Ein Bienenvolk beweidet eine Fläche von mindestens 30 Quadratkilometern. Die Gesundheit unserer Bienen und die Qualität hängen stark davon ab, wie und unter Anwendung welcher Mittel diese Flächen bewirtschaftet werden.‹
Durch die flächendeckende Verfrachtung wird die Gesundheit von Mensch und Tier bedroht. Aber auch die wirtschaftliche Existenz einer ganzen Branche könnte auf dem Spiel stehen. ›Entgegen allen anderslautenden Behauptungen in Zulassungsverfahren breiten sich ungewollt Pestizide über den Luftweg derartig in unserer Umwelt aus, dass die Koexistenz von ökologischem Landbau und konventioneller Bewirtschaftung unmöglich wird‹, warnt Stephan Paulke, Vorstandsvorsitzender der basic AG. Ein Umdenken sei dringend erforderlich. ›Wir haben die Verantwortung, die Erde so zu bewirtschaften, dass sie auch für nachfolgende Generationen lebenswert erhalten bleibt‹, bringt es Heike Kirsten, Marketingleitung bei Rapunzel, auf den Punkt. Um einen großflächigen und umfassenden Wandel in der Landwirtschaft zu erreichen, setzt das Aktionsbündnis auf eine klare Position – und gute Argumente. Um die Ergebnisse der Pilotstudie von 2017 zu untermauern, wurde die ›Studie Baumrinde 2018‹ an ein unabhängiges Forschungsinstitut vergeben. Sie wird repräsentative Proben von zahlreichen Standorten in der Bundesrepublik untersuchen, um weitere belastbare Erkenntnisse über die flächendeckende Verbreitung von Ackergiften zu gewinnen. ›Ackergifte beeinflussen uns, unsere Gesundheit und unsere Umwelt in weit höherem Maße als bisher bekannt. Daher brauchen wir hier unabhängige Informationen‹, erläutert Michael Radau, Vorstand der SuperBioMarkt AG, die Intention des Bündnisses. Das Ziel: Ein pragmatischer Wandel hin zu einer Landwirtschaft ohne Ackergifte. Dieser, da ist man sich einig, ist nicht von heute auf morgen zu erreichen. Notwendig sei ein intensiver Dialog mit allen Beteiligten sowie Politik und Gesellschaft: ›Vorfahrt für die ökologische Landbauweise und gleichzeitig intensiv ins Experten- beziehungsweise Beratungsgespräch mit den konventionellen Landwirten gehen‹, so formulierte Stefan Voelkel, Geschäftsführer des Bio-Saftherstellers Voelkel, das gemeinsame Ziel. Weitere Unterstützer sind dabei willkommen. ›Nur wenn wir diese Themen gemeinsam mit anderen Herstellern und Händlern nachhaltig in das Bewusstsein der Gesellschaft rücken, werden wir eine Veränderung und damit eine enkeltaugliche Landwirtschaft schaffen können.‹ Auch Verbraucher können sich im Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft engagieren, indem sie die Studie ›Baumrinde 2018‹ zum Beispiel als Standort-Paten unterstützen.
Am Ende geht es den Beteiligten des Aktionsbündnisses um mehr als ›nur‹ Messwerte, Brancheninteressen oder selbst Gesundheitsrisiken: Es geht um nichts weniger als die Erhaltung der wichtigsten Lebensgrundlage auf unserem Planeten – um gesunden Boden, wie Johannes Heimrath, Sprecher der Initiative Landwende und Initiator der Kampagne Ackergifte? Nein danke!, zusammenfasste: ›Das zentrale Bemühen einer enkeltauglichen Landwirtschaft muss es sein, die Lebensgemeinschaften auf den Äckern in ihrer ganzen komplexen Vielfalt zu hüten. Nur dann werden sie selbst die Bedingungen schaffen, die auch für uns Menschen ein gutes Leben sichern.‹
Das gesellschaftliche Unbehagen gegenüber Ackergiften wie Glyphosat ist so groß wie nie zuvor. ›Die flächendeckende Umsetzung einer Landwirtschaft ohne Ackergifte stellt eine komplexe Herausforderung dar‹, so Dr. Niels Kohlschütter von der Schweisfurth Stiftung, die das Bündnis mitgestaltet. ›Eine enkeltaugliche Landwirtschaft kann nur im gemeinsamen Dialog entwickelt werden – für diesen setzen wir uns als Stiftung, auf der Basis unabhängiger Forschung, ein.‹