Studie „Pestizidbelastung der Luft“

Unsere bundesweite Studie belegt erstmals die massive Verbreitung von Ackergiften in ganz Deutschland – auch weit abseits von Äckern. Denn über die Luft verbreiten sich chemisch-synthetische Pestizide bis in Städte und Nationalparks. Wie gefährlich sie für Gesundheit und Artenvielfalt sind, kann dabei nur erahnt werden. Wie schädlich sie für die Bio-Landwirtschaft sind, ist aber jetzt schon klar: Wenn wir nicht sofort handeln, gibt es eines Tages keine Bio-Produkte mehr. Und damit keine giftfreie Ernährung für unsere Kinder und Enkel.

Wir haben nachgemessen

Dass es Abdrift und Ferntransport von Pestiziden gibt, ist schon lange bekannt. In welchem Ausmaß dies geschieht, wurde durch unsere Studie zur Pestizidbelastung der Luft nun erstmals systematisch belegt. Dafür hat das wissenschaftliche Institut TIEM, im Auftrag vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und dem Umweltinstituts München, in einem Citizen Science Projekt von März bis November 2019 an 116 über die gesamte Bundesrepublik verteilten Standorten den Pestizidgehalt der Luft gemessen. Die Daten wurden mit Hilfe von neu entwickelten technischen Passivsammlern, Filtermatten aus Be- und Entlüftungsanlagen sowie durch Funde in Bienenstöcken und Baumrinden erhoben. In die Studie flossen zudem die Ergebnisse unserer Vor-Untersuchung an Baumrinden aus den Jahren 2014 bis 2018 mit ein. Damit ergab sich eine Gesamtzahl von 163 Standorten.


Standorte der Messungen nach Methoden

Die Größe der in der Karte dargestellten Punkte stellt nur schematisch die Anzahl der gefundenen Pestizid-Wirkstoffe der Luft dar. Alle Details der Studie „Pestizid-Belastung der Luft“. Download hier.

Erschreckende Ergebnisse

Die Ergebnisse sind erschreckend: In fast allen Proben wurden Rückstände von gleich mehreren Pestiziden gefunden – egal, ob sich ein Standort auf dem Land, in der Stadt oder im Nationalpark befand. Anders als von Pestizidherstellern suggeriert, verbreiten sich in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzte Pestizide also kilometerweit durch die Luft. Die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst:

  • An den 163 Untersuchungsstandorten wurden insgesamt 138 Pestizid-Rückstände und -Abbauprodukte gefunden. Selbst auf der Spitze des Brockens im Nationalpark Harz waren 12 Pestizide nachweisbar.
  • An den meisten Standorten wurden Cocktails aus bis zu 36 verschiedenen Pestizid-Wirkstoffen gefunden.
  • Fast ein Drittel der nachgewiesenen Wirkstoffe (30 %) sind in Deutschland nicht oder nicht mehr zugelassen. Darunter auch das seit den 1970er Jahren verbotene Insektizid DDT.
  • Ein erheblicher Teil der Pestizide belastet dabei auch Schutzgebiete und städtische Innenräume – weit abseits von Äckern.
  • Das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Glyphosat konnten wir in sämtlichen technischen Sammlern (Passivsammler und Filtermatten) in ganz Deutschland nachweisen – auch weit abseits des Einsatzortes. Das ist besonders besorgniserregend, da Glyphosat ein Feststoff ist und laut EU-Zulassungsverfahren als „nicht flüchtig“ gilt.

Eine Gefahr für uns alle

Viele der gefundenen Pestizid-Wirkstoffe sind bei direktem Kontakt hochgiftig, beeinflussen die Fortpflanzungsfähigkeit negativ, sind krebserregend oder hormonell wirksam. Was die gefundenen „Pestizid-Cocktails“ aus der Luft in unserer Lunge anrichten, ist jedoch kaum erforscht. Denn aktuelle Zulassungsverfahren berücksichtigen nur die Aufnahme einzelner Stoffe über den Magen-Darm-Trakt. Das bedeutet, dass wir jeden Tag einen Cocktail aus unterschiedlichen Pestiziden einatmen, dessen Auswirkungen auf unsere Gesundheit wir gar nicht kennen.

Auch im sogenannten Bienenbrot, das der Ernährung der Larven im Bienenstock dient, haben wir Ackergifte nachgewiesen. Wie sich das auf diese – auch für den Menschen lebenswichtigen Tiere – auswirkt, muss noch untersucht werden. Die Verwendung chemisch synthetischer Pestizide in der konventionellen Landwirtschaft, gefährdet auch den Lebensraum etlicher anderer Insekten, die für die Bestäubung unserer Nutzpflanzen sorgen. Dass sich Pestizide bis in Naturschutzgebiete verbreiten, die speziell dem Schutz und als Rückzugsort für Insekten dienen sollen, ist zusätzlich besorgniserregend.

Der Pestizideinsatz in der konventionellen Landwirtschaft bedroht nicht zuletzt den ökologischen Ackerbau. Immer wieder werden Bio-Ernten mit chemisch-synthetischen Pestiziden kontaminiert und somit unverkäuflich gemacht, wodurch hohe wirtschaftliche Schäden entstehen. Die Studie „Pestizid-Belastung der Luft“ liefert nun einen wesentlichen Grund dafür: Pestizide driften weit von den Ursprungsäckern ab und kontaminieren Bio-Äcker. Solange sich Ackergifte bis in den letzten Winkel verbreiten, droht die Gefahr, dass es eines Tages keine rückstandsfreien Bio-Produkte mehr geben wird. Somit bedrohen chemisch-synthetische Pestizide nicht nur die Existenz von Bio-Landwirt*innen, sondern auch die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen.

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Mehr Infos

Fragen und Antworten auf Wispert

Auf unserem Expertentool „Whispert“ beantworten Experten aus den Bereich Forschung und nachhaltige Landwirtschaft die wichtigsten Fragen rund um unsere Studie und das Thema „Pestizide in der Luft“.

Die Agrarindustrie wehrt sich – Post von Bayer zu unserer Studie

Nach Veröffentlichung der Studie zur Pestizid-Belastung der Luft hat die Bayer AG einen offenen Brief an unseren Kooperationspartner, das Umweltinstitut München, versandt. Die Kritikpunkte, die auch in der Agrarpresse aufgenommen wurden, möchten wir an dieser Stelle gemeinsam widerlegen. Du findest die Stellungnahme des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und des Umweltinstituts München hier.

Der Vorstand des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft hat zusätzlich einen offenen Brief direkt an Herrn Müller verfasst: